Insel der Puppen
Eine kleine Insel, mitten im Kern der gigantischen Metropole Mexiko-Stadt gelegen, wird jedem Besucher ein kaltes Frösteln über den Rücken laufen lassen. Die Insel liegt im Lago de Xochimilco, einem See, welcher durch Entwässerungsmaßnahmen trockengelegt wurde und heute durch ein weit verzweigtes Netz von kleineren Kanälen gekennzeichnet ist. Die daraus entstandene Moorlandschaft ist heute ein Naturschutzgebiet. Ein Naturschutzgebiet in mitten einer zentralamerikanischen Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern im Ballungsraum klingt seltsam genug, doch ist dies nicht der Grund, wieso die auf Deutsch auch Insel der Puppen genannte Insel ein Ort des reinen Grauens ist.
Die Insel der Puppen
Die kleine Insel besitzt die Form eines kleinen Dreiecks mit einer Seitenlänge von jeweils in etwa 150 Metern. Die gesamte Fläche ist mit Bäumen bewachsen und wirkt recht undurchdringlich. In diesen Bäumen finden sich hunderte von Spielzeugpuppen. Diese sind an die Bäume genagelt, in Spinnennetze eingewickelt oder stark verstümmelt. Überall auf der Insel wird man von den starren, leeren Blicken der Puppen verfolgt. Selbst der hartgesottenste Besucher der Insel wird sich hier ein Schauern nicht verkneifen können.
Die Geschichte dieser seltsamen Puppeninsel ist für sich selbst bereits traurig und furchteinflößend. Bis ins Jahr 2001 war die Insel noch bewohnt – von einem einzigen, einsamen Einwohner. Julian Santana Barrera war Fischer und Blumenzüchter und wohnte seit Jahrzehnten auf diesem kleinen Fleckchen Erde mitten in Mexiko. Der Legende nach hat Barrera bereits im Jahre 1951 die Leiche eines kleinen, ertrunkenen Mädchens gefunden, welche an die Ufer der Insel gespült worden war. Offensichtlich kam er mit dieser Extremsituation nicht zurecht und begann den Verstand zu verlieren. Denn er erzählte stets Geschichten, dass er den Geist des Mädchens sehen und vor allem ihre Stimme hören könne. Es ist natürlich auch sehr gut möglich, dass er gar nicht verrückt war, und tatsächlich von dem toten Kind verfolgt wurde. Jedenfalls, so erzählte der einsame Fischer, forderte das tote Mädchen Spielzeug, um nicht mehr einsam und traurig zu sein. Um diesen Wunsch zu erfüllen, begann Barrera weggeworfene Puppen, welche er in dem Netz von Kanälen fand, zu sammeln und auf die Insel zu bringen. Allerdings verschwand der Geist nicht wie erwartet, sondern stellte nur noch weitere Forderungen. Der verzweifelte Fischer begann, die Puppen zu verstümmeln und als Abschreckung gegen den Geist in die Bäume zu hängen. Im Laufe der Zeit sammelten sich so beinahe tausend Puppen an – verstümmelt, ohne Gliedmaßen oder mit ausgestochenen Augen wachen sie so seit über 60 Jahren über die Insel.
Im Jahr 2001 starb Julian Santana Barrera schließlich. Er ertrank an exakt der Stelle, an welche er der Legende nach das tote Mädchen gefunden hatte. Manche Personen behaupten, er sei betrunken gewesen, andere berichten von einem Herzinfarkt.
Die Isla de las Muñecas heutzutage
Bereits vor dem Tode des Fischers war die Insel in Mexiko-Stadt berühmt-berüchtigt. Heute wird sie von einheimischen Jugendlichen häufig als Ort für Mutproben verwendet. Es gilt eine Nacht auf der Insel mit unzähligen, sich im Wind bewegenden Puppen, zu überstehen. Als Zeichen des Triumpfs bringen sie ihrerseits wieder neue, noch gruseligere Puppen auf der Insel an.
Doch auch Touristen zieht es auf die Insel der Puppen. Schon seit den 1990er Jahren, also gut ein Jahrzehnt vor dem Tode von Barrera, kamen immer mehr Touristen, um den gruseligen Ort zu besuchen. Der Mann nahm keinerlei Geld als Bezahlung an, doch Geschenke waren gern gesehen. Nach seinem Tod wurde damit begonnen, die Insel auch touristisch kommerziell zu nutzen. Täglich werden mehrere Touren mit Booten zu der Puppeninsel durchgeführt – natürlich nur gegen Bezahlung. Zusätzlicher Eintritt wird für das Betreten der Insel verlangt. Auf dieser wohnt auch heute nur ein einziger Mensch: Der Neffe des Meisters der Puppen, Anastacio Santana.